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Gedenken am 9. November: „Nie wieder“ fordert Handeln

„Nie wieder“, dieses Bekenntnis darf nicht zu einer leeren Wortehülse werden, sondern muss mit Leben gefüllt werden und bedarf eines Handelns auf gesellschaftlicher Ebene wie auch jeder und jedes Einzelnen. Das war die übereinstimmende Botschaft der Gedenkfeier am 9. November am Standort der ehemaligen Limburger Synagoge.

Elena Kopirovskaja ist es als Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Limburg-Weilburg vorbehalten, zu jährlichen Gedenkfeier zu begrüßen. Sie machte dabei nicht nur auf die Zerstörung der Limburger Synagoge vor 87 Jahren und die Gewalt an diesem Tag gegen die jüdische Bevölkerung aufmerksam, sondern verdeutlichte noch einmal, dass die Pogromnacht nur ein Zwischenschritt zur Shoah war. Und dennoch, das unterstrich sie in ihrem Schlusswort, ist jüdisches Leben nach Limburg zurückgekehrt und seit vielen Jahren gibt es wieder eine jüdische Gemeinde. „Ich danke allen, die uns unterstützen und solidarisch mit uns sind“, sagte sie.

Bürgermeister Dr. Marius Hahn hält es für dringend geboten, das „nie wieder“ deutlicher mit Leben zu füllen. Dazu besteht nach seiner Einschätzung absolute Notwendigkeit, denn nicht nur die sprachlichen Übergriffe gegen jüdisches Leben in diesem Land werden immer mehr, jüdisches Leben ist nach seiner Einschätzung nicht mehr sicher. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. So steht es in unserem Grundgesetz. Wir müssen das auch in unser alltägliches Leben aufnehmen“, forderte Hahn und führte verschiedene Beispiele auf, die verdeutlichten, dass die Würde des Menschen in unserem Land angetastet und verletzt wird. Das dürfe nicht zugelassen werden, denn damit steht nach seiner Auffassung auch die demokratische Grundordnung in Gefahr.

Johannes Laubach als katholischer Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, zusammen mit der Stadt und der jüdischen Gemeinde dritter Veranstalter der Gedenkstunde, sieht aus dem „nie wieder“ in vielen Bereichen ein „schon wieder“. Jüdisches Leben könne vielfach nicht mehr offen ohne Gefahr gelebt werden. Deshalb ist es für ihn dringend geboten, immer wieder, das bezieht auf jeden Fall den Alltag mit ein, Position zu beziehen. „Wenn es jedoch Parteien gibt, die die Zeit zwischen 1933 und 1945 und die dort verübten Verbrechen als einen ,Mückenschiss‘ der Geschichte einstufen, dann finde ich, haben der Vertreterinnen und Vertreter auf Gedenkfeiern an den 9. November nichts verloren“, machte Laubach deutlich.

Eine Delegation der Leo-Sternberg-Schule (Murat, Emilie, Lara, Atakan, Alisha und Mia) nahm auch die eigene Verantwortung in den Blick: „Auch heute erleben Menschen Ausgrenzung – wegen Religion, Hautfarbe, Sprache oder Meinung. ,Nie wieder‘ heißt nicht nur Erinnern, sondern Handeln: im Unterricht, im Netz, auf der Straße. Wir tragen Verantwortung – gerade als junge Generation.“ Und zusammen mit ihrem Lehrer Claus Eschenauer bekannten sie vor den rund 70 Teilnehmenden der Gedenkfeier: „Wir erinnern. Wir stehen auf gegen Hass. Wir glauben an Menschlichkeit. Nie wieder ist jetzt.“

143 jüdische Frauen, Männer und Kinder sind in der NS-Zeit Opfer geworden, ihre Namen wurden im Rahmen der Feier, die von Stefan Kramer auf der Klarinette einfühlsam mit drei Klezmer-Stücken begleitet wurde, verlesen. Zuvor hatte Rabbiner Alexander Hofmann ein jüdisches Totengebet angestimmt. Am Ende der Feier sprachen Katharina Kunkel als katholische Pastoralreferentin und Pfarrer Markus Stambke von der evangelischen Kirche ein gemeinsames Gebet, in dem sie ihre Sprachlosigkeit und Verletztheit aufgrund der Verbrechen in der Vergangenheit und ihr Entsetzen über die Gewalt der heutigen Kriege zum Ausdruck brachten und die Bitte vorbrachten, dass Kriege enden und sich die in der Vergangenheit ereigneten Verbrechen nicht wiederholen.

143 jüdische Opfer gibt es nach dem aktuellen Stand aus Limburg. Stadtarchivar Dr. Christoph Waldecker stellte dabei zwei Einzelschicksale vor: Sally Heymann und Johanna Hirsch. Johanna Hirsch, geboren 1893, war in zweifacher Hinsicht Opfer des Nationalsozialismus, als Jüdin und als geistig behinderter Mensch. 1940 wurde sie in die Heilanstalt Weilmünster eingewiesen und wenige Wochen später nach Bendorf-Sayn verlegt. Im März 1942 wurde sie mit anderen Patienten nach Izbica im besetzten Polen deportiert, wo sie vermutlich auch ermordet wurde.

Sally Heymann, 1887 in Limburg als Sohn von Emanuel und Rufine Heymann geboren, war Kaufmann und Soldat im 1. Weltkrieg. Er engagierte sich ehrenamtlich in verschiedenen jüdischen Organisationen heiratete 1920 und lebte mit seiner Frau Friede in der Grabenstraße und später „In der Erbach“- 1939 musste das Ehepaar in ein sogenanntes „Judenhaus“ nach Mainz umziehen. Friede Heymann starb im Dezember 1941 in Mainz, Sally wurde im März 1942 ins Ghetto Piaski deportiert. Wo und wann er starb, ist nicht bekannt. © Stadt Limburg