Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden fast alle Deutschen aus Osteuropa vertrieben. Viele siedelten sich in Mittelhessen an, darunter zahlreiche Personen aus dem tschechischen Mährisch Neustadt, heute Uničov, das etwa 20 Kilometer von Olmütz (Olomouc) entfernt liegt. Von 1949 bis 2018 feierten sie in der Limburger Pallottinerkirche ihr aus dem Spätmittelalter überliefertes Wachsstockfest. Dies war Anlass für die Stadt Limburg, die Patenschaft für diese Menschen zu übernehmen.
Die Geschichte der Patenschaft für die Mährisch Neustädter ist das Thema der jüngsten Publikation aus der Feder von Stadtarchivar Dr. Christoph Waldecker. Er schildert kurz die Anfänge Mährisch Neustadts ab 1213 und des Wachsstockfestes ab 1424, geht auf die Vertreibung ab 1945 ein und beschreibt die Wiederbelebung des Festes in Limburg 1949. Der Wachstock ist eine sehr dünne Sonderform der Kerze, die sich zusammengewickelt auf einem Wachsstockhalter befand. Mit dem Wachsstockfest war immer auch ein Heimattreffen verbunden, so dass die Vertriebenen untereinander leichter den Kontakt pflegen konnten.
1956 übernahm Limburg dann formell die Patenschaft. Anders als bei einer Städtepartnerschaft agieren bei einer Patenschaft die Beteiligten nicht auf Augenhöhe, sondern Limburg unterstützte die Mährisch Neustädter durch Hilfe bei Organisation und Durchführung der jährlichen Treffen sowie durch Bereitstellung von Räumlichkeiten zur Einrichtung einer Heimatstube. Die Benennung einer Mährisch-Neustädter-Straße verstand sich von selbst: seit 1968 erinnert der Straßenname in der Südstadt an die Verbindung zu den ehemaligen Bewohnern der Stadt in Tschechien.
Die Sammlung der Mährisch Neustädter Heimatstube im Schloss wurde 2010 nach einem Wasserrohrbruch von den beiden Betreuern, die sich aus Altersgründen nicht mehr zur Weiterarbeit in der Lage sahen, aufgegeben und lagerte seitdem im Stadtarchiv.
Bürgermeister Dr. Marius Hahn übergab die Sammlung, bestehend aus Dokumenten, Fotos, Alltagsgegenständen und Büchern, an eine Delegation aus Uničov, die von Bürgermeister Radek Vincour angeführt wurde. Die Übergabe geschah auf Anregung der Mährisch Neustädter Heimatbetreuerin Sigrid Lichtenthäler. Die Sammlung, die insgesamt mehr als 1200 Fotos, diverse Dokumente, die die Vertriebenen gerettet haben (kein amtliches Schriftgut), Literatur zur Stadtgeschichte und zum Thema Flucht und Vertreibung, diverse Objekte wie die Tracht einer Wachsstockfrau, eine Goldhaube und Darstellungen von Maria über Mährisch Neustadt umfasste und einen kompletten Kleintransporter füllte, ist damit wieder an den Ort ihres Ursprungs zurückgekehrt – einer Stadt, die wie Limburg heute in einem Europa der Freiheit und der offenen Grenzen liegt.
Im Anschluss an die Übergabe führten Bürgermeister Hahn und Stadtarchivar Waldecker die Besucherinnen und Besucher durch Limburg, dazu gehörte auch ein Besuch im Dom. Von seinem Amtskollegen aus Uničov erhielt Hahn die Einladung, die Ausstellung mit der Mährisch Neustädter Sammlung aus Limburg im kommenden Jahr zu besuchen. Die Delegation aus Tschechien nahm anschließend noch eine Einladung von Sigrid Lichtenthäler nach Wiesbaden ein.
Die neue Publikation des Stadtarchivs (Christoph Waldecker, Limburg und die Mährisch Neustädter. Geschichte einer Patenschaft, Limburg 2024, aus der Reihe der Mitteilungen aus Stadtarchiv Limburg a. d. Lahn 7), ist gratis erhältlich im Stadtarchiv, im Bürgerbüro und im Quartiersbüro in der Südstadt. © Stadt Limburg