Etwa 250 Menschen hatten sich im Gemeindesaal der Freien evangelischen Gemeinde Limburg zur Gedenkfeier anlässlich der Pogromnacht vor 85 Jahren versammelt. Die Geschichten von Liane Moses, Max Rosenthal, Isidor Beringer, Ernst Graumann, Adolf Leopold und Dr. Adolf Friedländer auf den Pop-Ups verteilt im Saal standen stellvertretend für die vielen jüdischen Menschen, die dem Nationalsozialismus zum Opfer fielen.
Bereits am ehemaligen Standort der Synagoge, Schiede 27, hatten sich diesmal deutlich mehr Menschen eingefunden als in den vergangenen Jahren. Mit einem durch Rabbiner Alexander Hofmann vorgetragenes Totengebet wurde an die jüdischen Opfer des NS-Regimes gedacht. Im Anschluss an das Gebet wurden die Namen von 197 Opfer, hierbei sind auch die Opfer enthalten, die aus politischen Gründen oder aufgrund von Behinderungen ermordet wurden, verlesen.
„Der Anstieg der antisemitischen Straftaten darf uns nicht egal sein. NIE WIEDER ist die Basis unseres Rechtsstaates“, mahnt Dr. Marius Hahn, Bürgermeister der Stadt, bei seiner Begrüßung im Gemeindesaal an. „Sympathien für die Hamas haben auf unseren Straßen nichts zu suchen“, so Hahn weiter. Der Bürgermeister bedankte sich bei den Teilnehmenden und vor allem bei den Vertreterinnen und Vertretern der unterschiedlichen Religionen für die Bereitschaft, die Gedenkveranstaltung gemeinsam mit Friedensgebeten zu beenden. Sein Dank galt auch den Beamtinnen und Beamten der Landespolizei und der Stadtpolizei für die Begleitung der Gedenkfeiern in der Innenstadt sowie im Gemeindesaal.
Was sich am 9. November 1938 in Limburg getan hat, dafür gibt es aufseiten der Opfer keine Zeitzeugen mehr. Erinnerung lebt daher von Schilderungen und Zeugnissen, die überliefert wurden. Die Zeugnisse der Vergangenheit zeigen auf, dass die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Limburg immer wieder von Antisemitismus begleitet wurde, wie der Limburger Stadtarchivar Dr. Christoph Waldecker belegen kann. Denn erst ab dem 15. Jahrhundert war es den Juden nach einer längeren Pause erneut möglich, sich in Limburg anzusiedeln. Dies war vorher durch die restriktive Judenpolitik im Kurfürstentum Trier nicht erlaubt.
Danach gab es auch andere Zeiten in Limburg. Das zeigte sich am 4. und 5. September 1903, als die erste erbaute Synagoge in der Stadt an der heutigen Schiede 27 feierlich eröffnet wurde. Dazu titelte die Limburger Zeitung: „Die ganze Stadt beteiligt sich in echter Toleranz.“ Die Thorarollen sollten damals nach dem Gottesdienst in der Erbach auf kürzestem Weg durch die Stadt zur Synagoge getragen werden. Es wollten jedoch so viele Menschen daran teilhaben, dass ein langer Weg durch die Limburger Straßen gewählt wurde. An der Spitze des Zuges gingen eine Militärkapelle und die Limburger Feuerwehr.
Der Umschwung kam dann schnell und ist für Waldecker aus heutiger Sicht nur schwer nachvollziehbar. Aber wie an anderen Orten im NS-Deutschland wurden die Juden schon kurz nach der Machtübernahme des Nazis ausgegrenzt. Und in der sogenannten „Reichskristallnacht“ brannte auch die Synagoge in Limburg.
Michael Köberle, Landrat des Landkreises Limburg-Weilburg, zitierte in seinem Grußwort den Friedensnobelpreisträger und Überlebenden von Auschwitz und Buchenwald, Elie Wiesel, der sagte: „Darüber sprechen ist unmöglich, darüber zu schweigen verboten“. Dass über das, was zwischen 1933 und 1945 passierte, gesprochen werden muss, ist für Köberle völlig unstrittig. Es sei aber auch notwendig, um die Entwicklung, die einem steigenden Antisemitismus und immer mehr Straftaten gegen jüdische Einrichtungen und Personen zu sprechen.
Elena Kopirovskaja, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Limburg-Weilburg, sprach in ihrem Grußwort darüber, dass durch den Holocaust jeder dritte jüdische Mensch auf der Welt getötet wurde. Am 9./10. November 1938 wurden etwa 8000 Wohnungen und Häuser geplündert, mehr als 1000 Synagogen angezündet. Auch die Limburger Synagoge fiel den Flammen zum Opfer, über die einst die Tageszeitung „Nassauer Bote“ schrieb, sie sei die „Zierde des Straßenbildes“. Natürlich erwähnte Kopirovskaja auch den terroristischen Überfall der Hamas am 7. Oktober. Nach ihrer Einschätzung können viele arabische Menschen nicht verstehen, dass die Hamas und andere Vereinigungen ganz entscheidend dazu beitragen, den Frieden im Nahen Osten zu verhindern.
Um die Erinnerung zu stützen, hilft das geschriebene Wort. Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit verlegt Bücher von Autoren, die sich den ehemaligen jüdischen Einrichtungen in der Region widmen. Wie Carmen Steinhauer von der Gesellschaft betont, dient das Erinnern als Mahnung, zu was Menschen fähig sind. So sei Antisemitismus nicht nur bei Muslimen und Christen verbreitet, sondern ebenso bei Atheisten.
Johannes Laubach, Vorsitzender des Fördervereins Ehemalige Synagoge Schupbach, berichtete über die Arbeiten an der Synagoge und das die Erinnerung immer mehr an Gebäuden festgemacht werden muss. Veranstaltungen in der Synagoge dienten auch immer wieder dazu, Besucherinnen und Besucher darüber zu informieren, dass der von Mauern umgebende Betsaal über Jahrzehnte Menschen jüdischen Glaubens dazu diente, sich zu versammeln, zu beten und sich auszutauschen. Nach Einschätzung von Laubach reicht die bisher praktizierte Erinnerungskultur jedoch weder in Schupbach noch landesweit dazu aus, um auf den anwachsenden Antisemitismus und die zunehmende Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung zu reagieren. Er rief dazu auf, dass jede private Person Haltung zeigen und Muslime, Christen, Juden gleichermaßen ihren moralischen Kompass wiederbeleben sollen.
Untermalt und begleitet wurde die Veranstaltung vom Ensemble Vienna Royal Philharmonic - Christina Pößel, Sopran; Sofia Liu, Violine; Lenny Huber, Violoncello; Rolf Schinzel, Klavier und musikalische Leitung. Die eingängigen Stücke von jüdischen Komponisten belebten und unterstützen die verschiedenen Rednerinnen und Redner der Veranstaltung.
Der Höhepunkt der Feier war für viele der Anwesenden die Friedensgebete, die Rabbiner Alexander Hofmann für die jüdische Gemeinde Limburg-Weilburg, Pastoralreferentin Katharina Kunkel (Katholische Pfarrei Heilige Katharina Kaspar Limburger Land), Pfarrer Marcus Stambke (Ev. Kirchengemeinde Limburg), Pastor Christof Nickel (Freie evangelische Gemeinde Limburg) und Imam Esat Öztürk (Islamischer Bildungs- und Kulturverein Limburg) sprachen.
Das Bild mit den verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Religionen auf Bühne gab Hoffnung, dass es möglich ist, dass jeder für sich seinen Glauben haben darf und soll und dies in einem friedlichen Miteinander möglich ist.
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