Max Stillger Stiftung will tatkräftige und finanzielle Unterstützung fortsetzen
Von Joachim Heidersdorf
Limburg/Bad Neuenahr. Die Menschen im Ahrtal freuen sich über jeden Gast. Max Stillger war jetzt besonders willkommen – und wurde noch dankbarer verabschiedet. Er hatte einen Scheck mitgebracht, mit dem die Spendensumme seiner Stiftung für die Flutopfer auf sage und schreibe 200.000 Euro steigt. Hinzu kommen unzählige Arbeitsstunden und Sachleistungen. Mit dem Ortstermin und dem runden Betrag wollte Stillger die Aktion eigentlich abschließen. Doch als er sah, wie schleppend der Wiederaufbau läuft beziehungsweise an vielen Stellen noch gar nicht begonnen hat, änderte er seine Meinung. „Mir fehlen die Worte. Das sieht ja teilweise so aus, als wäre das Wasser erst gestern abgeflossen. Ich bin wütend und bewundere gleichzeitig die Geduld und Demut der Betroffenen“, sagte der Limburger Unternehmer. Spontan kündigte er an, die tatkräftige und finanzielle Unterstützung fortzusetzen. „Das Ahrtal ist leider etwas aus dem Fokus der Öffentlichkeit geraten“, sagte Stillger, „aber hier gibt es noch unheimlich viel zu tun. Wir wollen gerne weiter helfen.“
Bei einer Gesprächsrunde mit Vertretern mehrerer Ortsgemeinden und Betroffenen verspricht der 61-Jährige, den Erlös des Galakonzerts der Max Stillger Stiftung mit zwei Spitzenchören und dem Landes-Polizeiorchester Hessen am 12. November in der Limburger Stadthalle für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen.
„Großartig“, sagt unter anderem Bad Neuenahrs Ortsvorsteher Richard Lindner.
Höchstes Lob und großer Dank gilt außerdem Stillgers Begleiter Dennis Schlitt. Der 44-jährige Bauleiter der ABID-Gruppe war nach der Hochwasserkatastrophe am 14. Juli 2021 an fast jedem Wochenende im Ahrtal im Einsatz und koordinierte für die Stiftung die Verteilung der Gelder an knapp 40 Familien.
Schnelle und unkomplizierte Hilfe
„Schnell, unkompliziert und effektiv“, wie Markus Bell, einer der Nutznießer, berichtet. „Wir dürfen nicht allzu lange mit dem Wiederaufbau warten, sonst geraten wir auch aus dem Fokus der Touristen“, meint der Gastronom. Bislang kämen viele vor allem aus Neugier, doch man müsse den Gästen bald wieder mehr Anziehungspunkte und Attraktionen für den Aufenthalt bieten. In der Haupteinkaufsstraße von Ahrweiler stünden aktuell 23 Geschäfte leer.
Der 49-Jährige hat gezeigt, wie dies möglich ist und dass die Geschädigten das Elend als Chance nutzen können, aus den Trümmern etwas Schöneres und Besseres entstehen zu lassen. „Bells Genusshof und Marktplatz“ in der Ahrweiler Altstadt präsentiert neben seiner „Bistronomie“ (innen und außen) mehrere Läden unter einem Dach. Auf die im November 2021 eingereichte Baugenehmigung wartet Bell bis heute…
Fast jedes Wochenende im Einsatz
Auch bei diesem Projekt hat Dennis Schlitt kräftig Hand angelegt. Er war am ersten Wochenende nach dem Unglück mit seinen Offheimer Feuerwehrkameraden Lukas Mink und Leo DaSilva mit Pumpen und schwerem Gerät ins Katastrophengebiet gefahren. „Wir haben drei Tage fast ohne Pause gearbeitet. Das war der absolute Ausnahmezustand. Ein solches Bild der Verwüstung habe ich noch nicht gesehen“, so Schlitt. Das Trio pumpte Keller aus, riss einsturzgefährdete Mauern ein und beseitigte Trümmer.
Für den stellvertretenden Wehrführer wurde aus dem spontanen Einsatz eine dauerhafte Aufgabe. Fast zwei Jahre lang packte er an fast jedem Wochenende im Ahrtal mit an, zuletzt machte er ab und zu mal eine Pause. Als nächstes Projekt will Schlitt sich das Fachwerkhaus von Andrea Mausberg in der Ahrweiler Altstadt vornehmen, das entkernt und neu ausgestaltet werden muss. „Ich will hier wieder meine Praxis einrichten“, sagt die Hebamme, die mit umherziehenden Handwerkertrupps schlechte Erfahrungen gemacht hat.
„Wir kämpfen gegen den Amtsschimmel“
Dennis Schlitt hat im Namen der Stiftung Notleidenden je nach Schadenshöhe zwischen 500 und 10.000 Euro gegeben – direkt und ohne Formalitäten. Wenn es nur immer so problemlos gelaufen wäre…
„Wir kämpfen gegen den Amtsschimmel“, klagen Markus Bell und Richard Lindner. Die überbordende Bürokratie hemme vielerorts den Beginn der Arbeiten und bremse den Elan der Betroffenen. „Für jeden Furz müssen Anträge ausgefüllt werden, das dauert alles viel zu lang. Die Mittel müssten unbürokratischer fließen“, fordert Bell. „Dennis Schlitt und die Max Stillger Stiftung waren Lichtblicke und immer ein Ansporn, weiterzumachen“, sagt er.
„Wir leben von Touristen und brauchen auch welche, die mal drei bis fünf Tage bleiben“, erklärt Richard Lindner. Fatalerweise seien aber auch fast alle Hotels verschwunden beziehungsweise noch geschlossen.
Im Gespräch fließen Tränen
Zwei Jahre und knapp vier Monate ist es her, dass die Flut Menschen, Häuser, Fahrzeuge und Bäume mit sich riss. 136 Tote, viele zerstörte Gebäude und Existenzen sind die verheerende Bilanz dieser Nacht, die bei allen Beteiligten Spuren hinterlassen hat.
Auch im Gespräch mit den Limburgern fließen beim Schildern der dramatischen Ereignisse Tränen, etwa bei Monika Geschier. „Das geht mir heute noch sehr nahe“, sagt sie. „Ich werde nie vergessen, wie Dennis am frühen Sonntagmorgen in unserem Keller stand, aufräumte und für Licht und Strom sorgte.“
Ein paar Kilometer weiter in Dernau erzählt Ortsbürgermeister Alfred Sebastian von seinen niederschmetternden Erfahrungen mit den Behörden. „Die Leute verlieren die Lust und die Nerven; die meisten sind mit den staatlichen Vorgaben völlig überfordert“, sagt er. Nach seinen Angaben waren lediglich 30 Prozent der betroffenen Hauseigentümer ausreichend versichert; deshalb gebe es noch viele Notfälle.
Bei den öffentlichen Projekten, wie dem Dorfplatz, der Sportanlage und dem geplanten Dorfwärmenetz, gehe es ebenso schleppend oder gar nicht voran. „Das Vorgehen der Landesregierung ist die nächste Katastrophe“, schimpft Sebastian.
Enttäuschung und Hoffnung
Max Stillger zeigte sich von den Eindrücken und Berichten tief beeindruckt. „Die Stiftung wird noch ein, zwei Jahre im Ahrtal Gas geben“, sagt er. Und weiter: „Es war schlimm genug, was sich die politisch Verantwortlichen in der Flutnacht geleistet haben. Aber dass nach mehr als zwei Jahren noch nicht mal zehn Prozent der zugesagten Hilfsgelder bei den Geschädigten angekommen sind, ist ein Skandal hoch drei und ein Armutszeugnis.“ Die Mittel sollten seiner Meinung nach den Kommunen zufließen, die dann vor Ort direkt entscheiden könnten.
Neben dem Staat kritisiert Aktionsbündnisse wie „Deutschland hilft“, die ebenfalls Millionenbeträge zurückhielten und zudem einen Teil der Spenden für die Verwaltung abgezweigten. Bei seiner Stiftung kämen die Spenden dagegen zu 100 Prozent dort an, wo es gebraucht werde. „Trotz des massiv gestiegenen Arbeitsaufwands stehe ich zu meinem Wort, dass alle Kosten, die der Stiftung entstehen, von mir persönlich getragen werden“, betont der Mäzen.
Am Ende des Tages grübelt er über die sehr gespaltene Stimmung im Ahrtal. Bei allem Ärger und Enttäuschung schwingen auch Hoffnung und Optimismus mit. „Wir sind auf einem guten Weg. In zehn Jahren wird das Tal nicht mehr wiederzuerkennen sein“, sagt Markus Bell. Alfred Sebastian glaubt, dass es 15 Jahre dauern wird. „Aber dann wird es besser sein als früher“, hoffen die Protagonisten übereinstimmend.
Info: Das Gala-Konzert mit dem MGV Harmonie Lindenholzhausen, Cantabile Limburg und dem Landes-Polizeiorchester Hessen am 12. November in der Limburger Stadthalle ist fast ausverkauft. Vereinzelte Restkarten gibt es noch an der Ticketzentrale. © Joachim Heidersdorf