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… was eine Mischung denken Sie ? So ging es mir auch und mein Interesse an einem Abend im Kegelstübchen in Kirschhofen war geweckt. Für Oberlahn.de war ich an diesem Abend mit der Kamera in einem Ort, wo man sonst nur dran vorbei fährt an einer der letzten Kurven oder der Spitzkehre auf dem Weg nach Weilburg.

Das Kegelstübchen befindet sich im gleichen Gebäude wie das Dorfgemeinschaftshaus inmitten des kleinen Ortes und es ist ein Kleinod für Konzerte oder Lesungen. Seit letzten Jahr ist es unter der Leitung von Dominic Richter und seinem Team. Mitte März war dort Kent Nielsen zu Gast. Unter dem Titel „Lesung und Minikonzert“ „Wie aus mir kein Tänzer wurde“ – Ein Leben in der dänischen Punk- und Hardcoreszene“ las Kent Nielson aus seinem gleichnamigen Buch.

Er ist ein 53 jähriger Mann, mittlerer Statur, Brille und Schiebermütze und kommt recht zurückhaltend und unauffällig daher. Erst beim genaueren Hinsehen entdeckt man mögliche Hinweise auf die Punker-Szene in Form von Tattoos.

Kent nimmt sich Zeit für ein Interview und gegenseitiges Kennenlernen. 1988 kam er nach Deutschland, als er einen Tapetenwechsel brauchte – er lebte vorher auf einer einsamen Insel in Dänemark.

Zwischenzeitlich lebt und arbeitet er in Lübeck also nur noch rund 545 km von Kirschhofen entfernt. Dennoch stellt sich die Frage, wie kommt Kirschhofen und Kent Nielsen zusammen – ganz einfach über SofaConcerts.org, eine Webseite, die Musikern und interessierten Musikfans die Möglichkeit bietet, auch für Hut- oder Wohnzimmerkonzerte zusammen zu kommen, wie auch in diesem Fall. Kent ist auf Tour gewesen Köln, Peine, Kirschhofen, Plauen und wieder Lübeck. Er war Frontsänger von 85-88/89 bei der Band Leben und Leben lassen „LuLL“ und fand somit den Weg zur Ukolele erst später über einen Workshop in England während eines Festivals. Schon ein halbes Jahr später spielte er vor dreihundert Leuten sein erstes Konzert mit seinem neuen Instrument. Er wuchs in der dänischen Einöde auf und natürlich ist er aufgefallen.

1979 ging es für ihn los, die Szene kam erst verzögert auf dem Land an. Die Musik war einfach anders, wurde erst später politisch. Die Zeit hat ihn für’s Leben geprägt, sagt Nielsen – die, die sagen „sie WAREN mal Punker“, waren nie welche – PUNKER ist eine Kultur, eine Lebenseinstellung. Die Musik, die Friedensmärsche, der Tierschutz, die Community – es trafen die unterschiedlichsten Leute aufeinander und fanden sich zusammen. 1980 spielte er in seiner ersten Band. Der Sinn für Gerechtigkeit, sich politisch zu engagieren – das „open minded“ ist etwas, was den Punkern wichtig ist und die Bewegung bis heute trägt. Für ihn war es selbstverständlich auf einem Benefizkonzert aufzutreten, was ein befreundeter Punker aus der damaligen Zeit organisierte. Kent mochte die Besucher des Abends abholen um sie zum Lachen zu bringen, und so stellte er auch sein autobiografisches Buch vor, welches er auch vor Ort signierte - ferner seine CD „Shotgun Seat DJ“. Sein dänischer Akzent ist bis heute sein Markenzeichen, der seinen Lesungen eine besondere Note verleiht. Gefühlt die Hälfte des Jahres ist Kent Nielsen so in den Clubs Europas unterwegs. Das musikalische Set zur Lesung liegt schwerpunktmäßig bei Neuinterpretationen von dänischen Punk Klassikern, die er für sein Publikum aber erklärt. © Peter Ehrlich

Auf seiner Webseite schreibt Kent zu seinem Buch:
"Wie aus mir kein Tänzer wurde" erzählt von der dänischen Punk- und Hardcoreszene der Jahre 1978 bis 1988. Und davon, wie Kent Nielsen diese Zeit erlebte. Eine Geschichte über unbändige Kreativität, Rebellion, Gewalt, Sucht und über das Erwachsenwerden auf die ganz harte Tour. Auf der Suche nach einem Mittel gegen die Trostlosigkeit des Provinzlebens an der dänischen Ostseeküste fand Kent Zuflucht in Odense, der drittgrößten Stadt des Landes, mit ihrer damals wachsenden Punkrock-Community. Es folgten erste Gehversuche als Frontmann in diversen Punk- und No-Wave-Bands, darunter die Formation L.U.L.L., die Ende der Achtziger mit »The Highest Wall« und »Freakline« zwei prägende Alben der europäischen Hardcoresszene veröffentlichten.
Kent erlebte zehn Jahre, die ihn für immer prägten, wie auch all die anderen, die sich in dieser Punk- und Hausbesetzerszene tummelten. Es ist erstaunlich, wie viele Bands, Fanzines, Konzerte, Happenings etc. sich seinerzeit in diesem kleinen, angeblich so gemütlichen Land entwickelten.”

Über den Autor:
Kent Nielsen, Jahrgang 1965, ist Däne, lebt mittlerweile in Lübeck und blickt auf eine bewegte Lebensgeschichte zurück: Sänger, Texter, Ukulele- und Waschbrettspieler, Geschichtenerzähler, Mordzeuge, Labelmacher, Mailorderfuzzi, Nachtportier und Kabelverleger für Robbie Williams.
In den Achtzigern war er Sänger der Hardcoreband L.U.L.L., die mit »The Highest Wall« (1987) und »Freakline« (1989) zwei prägende Alben der europäischen Hardcoreszene veröffentlichten. Gefühlt die Hälfte des Jahres tourt Kent Nielsen heute solo Ukulele spielend durch die europäische Clubszene.
Auszug:
„Im Dezember 1982 unternahm ein loses Bündnis von linken Gruppen, Aktivisten und Punks in Odense einen ersten Versuch, ein Haus zu besetzen. Der Industriepalast, ein imposantes, schönes Gebäude mitten in der Innenstadt, sollte abgerissen werden. Wir rückten ein mit der Forderung nach einem Kulturzentrum für alle. Das Ganze wurde relativ offen gehandhabt, das heißt, es wurden zwar Wurfgeschosse gebunkert, aber wir verbarrikadierten uns nicht. Es kamen auch viele interessierte Bürger der Stadt vorbei. Ich weiß noch, wie mir ein älteres Ehepaar erzählte, dass sie als Jugendliche zu Tanzveranstaltungen im Industriepalast gegangen waren. Jeden Abend spielten Bands, unter anderem PROPAGANDA, deren Sänger Søren Land ein paar Tage später den Bürgermeister von Odense erschoss, als dieser vorbeikam, um sich das Treiben anzuschauen – symbolisch, versteht sich, mit einer Wasserpistole.“